1. Themenspektrum & Lernziele

Tags: Themenfokus, Themenspektrum, Unterthemen, Inhalte, Lernziele, Kompetenzen, Medienbildung, politische Bildung, politische Medienbildung, Persönlichkeitsentwicklung

Podcast mit Rebecca Wienhold –  Internetwerkstatt Netti – Medienkompetenzzentrum Tempelhof-Schöneberg

„Überblickswissen und Selbstreflexion – das Themenfeld Diskriminierung gut kennen.“

Rebecca Wienhold ist Medienpädagogin im Medienkompetenzzentrum Tempelhof-Schöneberg (Internetwerkstatt Netti) in Berlin, Diversity-Trainerin sowie Expertin für Intersektionalität und Antidiskriminierung. Im Gespräch mit Christine Kolbe redet sie über Phänomene digitaler Gewalt, wie wir ihnen auch in Projekten der Medienbildung begegnen können oder sollten, und was wir Hass im Netz entgegensetzen können.

Hier finden Sie das Transkript zum Audiobeitrag.

Projekte GEGEN HASS IM NETZ können ganz unterschiedliche Themenschwerpunkte haben. Auch wenn sie alle auf die Vermeidung übergriffigen, verletzenden Verhaltens und eine verbesserte politische Debattenkultur im Digitalen abzielen, gibt es doch viele
Unterscheidungen mit Blick auf Diskursthemen, Kontexte, Zielgruppen und Plattformen, innerhalb derer Hass und Hetze in digitalen Räumen zum Thema werden.

Für gelingende Lernprozesse innerhalb von Bildungsangeboten GEGEN HASS IM NETZ ist es wichtig, sich thematisch zu fokussieren, eine gewisse Systematik des Themenspektrums im Hintergrund zu kennen und diese systematische Auffächerung und Abgrenzung von Einzelphänomenen und -themen ggf. auch vor Lerngruppen didaktisch aufzuzeigen. Neben den Lernzielen ist es also für alle am Lernprozess Beteiligten vor allem bereits in der Konzeptionsphase sinnvoll zu wissen, welche Hassphänomene in Unterschiedlichkeit und Abgrenzung voneinander es im Digitalen gibt, welche Faktoren ursächlich eine Rolle spielen und welche gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen hiermit verknüpft sind. Auch intersektionale Betroffenheiten durch unterschiedliche Formen von Anfeindungen und Diskriminierungen auf digitalen Plattformen sind wichtig zu kennen. So funktionieren etwa Antisemitismus und Rassismus unterschiedlich und bedienen voneinander abweichende psychosoziale Bedürfnisse; Antisemitismus als eine Art von Rassismus zu fassen greift zu kurz, wobei die beiden Phänomene nicht gegeneinander hierachiersiert werden sollten. Erst durch die Einzelanalyse beider Phänomen kann aufgezeigt werden, wie sie ineinander greifen. Für die pädagogische Vermittlung ist es daher wichtig, hier klar zu differenzieren.

Zum Themenspektrum von pädagogischem Engagement GEGEN HASS IM NETZ gehören in einer groben Clusterung, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
    • Rechtextremismus (die untenstehenden Phänomene werden hier zu einem geschlossenen Weltbild)
    • Antisemitismus
    • Antiziganismus
    • Rassismen (wie bspw. Antimuslimischer Rassismus oder Gadje-Rassismus)
    • Sexismus und Antifeminismus
    • Queerfeindlichkeit
    • Ableismus
    • sowie grundsätzlich alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die auch in der gesellschaftlichen und politischen Mitte gehäuft auftreten
  • Verschwörungserzählungen (inkl. Corona-Leugner*innen; vielfach in Bezug auf Antisemitismus, s.o.)
  • Desinformation – Intentionale Verbreitung von falschen Informationen und Narrativen zur Herabwürdigung von und Verhetzung gegen bspw. die o.g. Personengruppen
  • Plattformpolitiken – Welche Inhalte werden besonders oft angezeigt, erzielten besonders viele Reaktionen? Welche Meldewege gibt es? Wie wird auf Plattformen moderiert?
  • Cybermobbing – Auch wenn hier nicht im Kern gruppenbezogene Hassbotschaften stehen, gibt es vielfach Überschneidungen.

Zusätzlich kann zu jeder Differenzlinie, die für Bildungsvorhaben GEGEN HASS IM NETZ herangezogen wird, vertiefend gearbeitet werden. Dies eröffnet jeweils eigene Zusammenhänge und ermöglicht darüber hinaus Anknüpfungspunkte für Fragen der Lebensweltorientierung:

Frauen- und Queerfeindlichkeit – Die Auseinandersetzung mit den Lebenswelten betroffener Personen und der eigenen Identität
Rassismen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit  – Arbeit mit eigenen Vorurteilen oder Betroffenheiten
Antisemitismus und Verschörungsmythen – Erkennen und Reflektieren offensichtlicher und subtiler antisemitischer Aussagen im Unterschied zu Rassismen
Body Shaming – Umgang, Diskussion und Reproduktion von Schönheitsidealen im Internet
Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigung – Reflexion eigener ‚Imperfektionen‘ und gesellschaftliche Barrieren

Herausforderungen, Spannungsfelder und Handlungsempfehlungen

Eine Schwierigkeit in der Arbeit zum Thema GEGEN HASS IM NETZ besteht darin, dass Zielgruppenorientierung, Niedrigschwelligkeit und Komplexität des Gegenstands in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen können. Insbesondere die Bedeutung von Projekten GEGEN HASS IM NETZ in Zusammenhang mit verwandten und angrenzenden Themen bietet Anknüpfungspunkte (wie Desinformation, Cybermobbing etc.), lässt Projekte und Methoden jedoch Gefahr laufen, überfrachtet oder zu komplex zu werden.

Leitfragen

  • Wo im Themenspektrum bewege ich mich mit meinem Vorhaben und in welchen weiteren Themenfeldern und Begrifflichkeiten muss ich mich gut auskennen und vorbereiten?
  • Welche weitere Unterthemen gibt es? Wofür ist es sinnvoll Bezüge herzustellen und wo ist es sinnvoller sich zu fokussieren? Welche Themen sind gut kombinierbar?
  • Inwiefern ist die Auswahl des Themenfokus relevant für meine Zielgruppen und Bildungskontexte? Passen Lernszenarien und Themenbezüge grundsätzlich zu meiner Zielgruppe und ihren lebensweltlichen Bezügen?
  • Weisen die von mir gewählten oder entwickelten Materialien ihren Themenbezug nachvollziehbar aus und grenzen sich zu anderen Kontexten gut ab?
  • An welchen Stellen können Aspekte zur Reduktion von Komplexität weggelassen werden?
  • Auf welche weiterführenden Methoden oder Materialien kann verwiesen werden?

Bereits im Vorfeld sollte entschieden werden, welche Kompetenzen der Zielgruppe im Detail vermittelt und bei ihnen gestärkt werden sollen. Auch bezogen auf begrenzte Ressourcen wie Zeit, Personal und Ausstattung oder andere Faktoren eines Lernsettings, ist vorab zu klären, wie die Lernziele definiert sind, und ob sie mit den vorhandenen Bedingungen und gewählten methodischen Mitteln erreicht werden können. Die Kompetenz, Zusammenhänge erkennen und bewerten zu können und das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten sollte dabei in Projekten GEGEN HASS IM NETZ stets im Mittelpunkt stehen.

Insbesondere wenn Materialien zur Nachnutzung veröffentlicht sind, sollten diese ihre spezifischen Lernziele deutlich ausweisen, damit pädagogische Fachkräfte eine erste Orientierung bekommen und passgenau für den Kontext ihrer eigenen Angebote wählen können. In manchen Settings ist für gelungene Vermittlungs- und Lernprozesse der Ausweis eines Lernziels auch für die Teilnehmenden selbst hilfreich.

Die Transparenz von Lernzielen kann auch in engem Zusammenhang mit Entstehungsgeschichte, Förderung bzw. Finanzierung, Mitwirkenden und Kooperationen, aber auch Anlass und Ort stehen: Für Teilnehmende, aber auch für Nachnutzende sollte offengelegt werden, ob es sich um ein Modellprojekt handelt, wer das Projekt verantwortet und welche Träger und Organisationen hinter dem Bildungsangebot stehen. Bei der Veröffentlichung von Materialien sollten Durchführungskooperationen und -orte von Modellphasen, Zeiträume und Ähnliches transparent gemacht werden.

Herausforderungen, Spannungsfelder und Handlungsempfehlungen

Die vielen möglichen Ziele medienpädagogischer Arbeit oder in der politischen Bildung können in einer Spannung, aber auch in einem produktiven Ergänzungsverhältnis zueinander stehen. Hier sind Fachkräfte dazu aufgefordert, sorgsam abzuwägen und auszutarieren, um Projekte und Methoden nicht zu überfrachten: Stehen der Umgang mit Medientechnologien und die Gestaltung von Medienprodukten im Vordergrund – oder die analytische Kritik von Medien? Zielt ein Projekt vorrangig auf Aspekte eines respektvollen demokratischen Miteinanders und entsprechende Schnittmengen von politischer und Medienbildung (z.B. Netiquette, Ethik in digitalen Diskursräumen)? Oder werden allgemeine Aspekte von Bildung als Persönlichkeitsentwicklung angestrebt (z.B. die Entwicklung einer Haltung für Vielfalt und Demokratie)? (→ 2. Haltung)

Viele Ziele laden dazu ein, in konkreten Methoden und Projekten miteinander verbunden zu werden. Oft sind Anbieter jedoch dazu aufgefordert, in kürzester Zeit mit Zielgruppen zu arbeiten, was eine starke Fokussierung erfordert. Hier kann es hilfreich sein, auf weiterführende Materialien zu verweisen, die ergänzende Lernziele aufgreifen und in den Mittelpunkt rücken (→ 5.2 Nachnutzung & OER)

Leitfragen

  • Was möchte ich mit einem Ansatz oder einer Methodenentwicklung erreichen? Möchte ich erste Einstiege ins Thema schaffen oder Leute mit praktischem Training fit machen für Gegenrede, Deeskalation etc.?
  • Welche Lernziele verfolge ich als Fachkraft aus meiner eigenen Haltung heraus bzw. welche Ziele verfolgt das konkrete Bildungsangebot oder die durchführende Bildungseinrichtung?
  • Passen Lernziele und Themenbezüge zueinander? Passen die Lernziele zur Zielgruppe und den gewählten lebensweltlichen Bezügen?
  • Werden verschiedene Ebenen der Problembearbeitung adressiert? (z.B. individuelle und strukturelle Ebenen von Problemlagen, Lösungsansätzen und Handlungsoptionen) Wie verhalten sich Positionen von Täter*innen und Betroffenen zueinander?
  • Welche Projekte, Methoden, Materialien können daran anschließen, auch wenn nicht unmittelbar die Möglichkeit besteht, anknüpfende Lernziele zu bearbeiten?
  • Sind Materialien modular aufgebaut und lassen sich in einem größeren Rahmen im Sinne transformatorischer Lernziele gut kombinieren?
  • Weisen Materialien und Dokumentation Lernziele nachvollziehbar aus?

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