3. Starke Methoden

Tags: Netzbezug, Lernen im Digitalen, digital gestütztes Lernen, Medienbildung, Lernen über Medien in Medien, aktive Medienarbeit, transformatorische Wirkung, Handprint, Bilden & Wirken, Bildungsarbeit als Engagement

Podcast mit Björn Kunter – Gründer von LOVE-Storm, einem Trainingsraum GEGEN HASS IM NETZ

„Einen LOVE-Storm im virtuellen Trainingsraum einüben“

Björn Kunter ist Gründer von LOVE-Storm, einem Trainingsraum GEGEN HASS IM NETZ. In dieser Podcast-Folge redet er mit Christine Kolbe über starke Methoden und wie man Zivilcourage ins Netz bringt. Sein Online-Rollenspiel bietet einen sicheren Rahmen, bei denen der Umgang mit Hass im Netz erprobt werden kann.

 

Hier finden Sie das Transkript zum Audiobeitrag

Da Hass im Netz onlineund das bedeutet meist auf Social Media-Plattformen stattfindet, hier zum Teil seine Wurzeln hat oder als Brennglas gesellschaftlicher Konflikte und unterschiedlicher Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit funktioniert, sind Bildungsangebote nicht losgelöst von diesen Räumen verortet. Medieneinsatz, digitale Formate, digitale Methodenwerkzeuge und Arbeitsprozesse sind zentrale Anschlusspunkte, um über Hass im Netz zu sprechen.

Bildungsangebote GEGEN HASS IM NETZ sollten demnach möglichst als Lernen über Medien in Medien verstanden, also konzeptionell als digitale politische Bildung verortet und mit medienpädagogischen Lernzielen (→ 1.2 Lernziele im Blick) verbunden werden. Dies bedeutet etwa mit netzbasierten Methoden selbst zu arbeiten und Methodensettings so einzusetzen, dass technisches Design, digitale Praktiken und Phänomene, die Macht der Plattformen und Kommunikationsverläufe verstehbar, kritisch reflektiert und ein souveräner Umgang eingeübt werden können. Darüber hinaus befördern digitale Lernumgebungen in besonderem Maße Motivation, Zielgruppeneignung, Lebensweltnähe, Selbstwirksamkeit und Partizipation. Je nach Zielgruppe (→ 4. Zielgruppenorientierung), ihren spezifischen Bedarfen und Zugängen kann es aber auch sinnvoll sein, einer (teil-)analogen Methodik zu folgen – so etwa bei jüngeren Zielgruppen oder Teilnehmenden, bei denen Retraumatisierung ein Rolle spielt.

Herausforderungen, Spannungsfelder und Handlungsempfehlungen

Nicht jedes wünschenswerte oder methodisch zielführende Medien- oder Methodensetting ist realisierbar. Bei Entwicklung und Planung von Projekten GEGEN HASS IM NETZ kann schnell Frustration entstehen, wenn Technikeinsatz und Ausstattung nicht im Einklang stehen, zu viele Ressourcen binden oder Kompetenzen für Set-Up, Fehlerbehebung und Wartung fehlen.

Ein anderes Spannungsfeld besteht bei medienpädagogischen Vorhaben, die in digitalen Online-Räumen und sozialen Medien stattfinden, generell zwischen authentischen Settings, Öffentlichkeit und Selbstwirksamkeit einerseits und der Notwendigkeit pädagogischer Schutzräume andererseits. Eine Lösung ist das Arbeiten mit anonymisierten Identitäten oder Pseudonymen, z.B. in Projekt-Accounts, fiktiven Settings (auch analog) oder gemeinschaftliche, begrenzte “Livesessions”, Recherchen und Testpostings.

Je nach Zusammensetzung, Alter, Vorerfahrungen der Adressat*innen kann es angezeigt und sinnvoll oder auch abzuraten sein, mit authentischem Material, also realem Hass Content zu arbeiten. Grundsätzlich besteht immer die Problematik, Hassrede im Zeigen oder darüber Sprechen nicht zu reproduzieren. Durch analytisches Zergliedern und Dekonstruieren, durch teilweises Verdecken oder abmildernde Umschreibungen solcher Inhalte können diese möglicherweise entschärft werden. Jedenfalls sollten die Teilnehmenden vorgewarnt und ihnen explizit die Option eröffnet werden, sich der Situation zu entziehen, wenn solcher Content genutzt wird (Triggerwarnung, Content Notification/Warning → CN/CW). Mit solchen Inhalten sollte, wenn sie eingesetzt werden, konkret gearbeitet werden, d.h. ihr Einstaz sollte eine unmittelbare methodische Funktion erfüllen und in der Gruppe reflektiert und diskutiert werden.

Leitfragen

  • Inwieweit kann und will ich als Fachkraft digitale Debattenräume in Konzeption und Durchführung von pädagogischen Vorhaben einlösen? Welche Kompetenzen habe ich selbst, wo muss ich mir Unterstützung organisieren oder mich qualifizieren?
  • Welches Mediennutzungsmuster, welche Technikausstattung und Toolkompetenz hat die Zielgruppe voraussichtlich?
  • Welche Technikausstattung wird benötigt, welche Tools und vor allem Kompetenzen um das digital-gestützte Setting zu bespielen?
  • Welche authentischen Inhalte (Hass Content) sind sinnvoll im Bildungssetting zu verwenden und worauf kann verzichtet werden?
  • Mit welchen Mitteln werden die psychische Belastbarkeit der Teilnehmenden und mögliche Retraumatisierung verhindert und proaktiv in den Fokus gestellt? (s.o. Triggerwarnung)
  • Kritische Reproduktion: Wie können Inhalte thematisiert und Gegenstand pädagogischer Gesprächsführung werden, ohne z.B. rassistische Bilder oder Verschwörungserzählungen zu reproduzieren?
  • Bei Methoden, die in sozialen Medien bzw. im Internet stattfinden: Sind Kinder- und Jugendschutz (trotz Zielgruppenorientierung) gewährleistet?
  • Wie werden rechtliche Rahmen berücksichtigt (Datenschutz) und welcher Grad an Öffentlichkeit wird mit Medienprodukten, die in der Bildungssituation entstehen, gesucht?

Eine besondere Qualität von Materialien und Projekten GEGEN HASS IM NETZ wird mit Blick auf die Dringlichkeit erforderlich, gesellschaftlicher Spaltung entgegenzuwirken. Drängende Reformen, ein wahrnehmbarer gesamtgesellschaftlicher Druck, eine sozial-ökologische Transformation voranzubringen und Strukturen entsprechend nachhaltig zu verändern, werfen die folgende Frage auf: Bleibt das Bildungsangebot bei Handlungsempfehlungen für Individuen stehen oder vermittelt es darüber hinaus auch so etwas wie Engagementkompetenz, im Sinne eines proaktiven Handelns gegen Hass im Netz?

Vor dem Hintergrund vielfältiger negativer Auswirkung unterschiedlicher Formen von Hass im Netz ist es ein weiteres Qualitätsmerkmal, wenn wir über Fragen nach individuellen Handlungsoptionen gegen Hass im Netz hinausgehen: Wie können strukturelle Faktoren von Hass und Gewalt im Netz grundsätzlich und nachhaltig verändert werden? Diese Frage kann bspw. adressiert werden, indem wir den Lernenden Leitlinien an die Hand geben, wie sie Maßnahmen GEGEN HASS IM NETZ auch strukturell etwa auf Organisationsebenen oder in anderen lebensweltlichen Bezügen verankern können; oder indem wir neben individuellem, sozialem Handeln auch auf die Bedeutung von Technikgestaltung, politischer Verantwortung und Regulierung einbeziehen; oder indem wir zum Thema machen, wie Einzelpersonen und Bündnisse in diese verändernd einwirken können. Im Internet finden wir technologiegestützte Machtasymmetrien und schwindende Schutzräume vor ‒ nicht nur für Personen des öffentlichen Lebens oder Menschen, die gegen die Verrohung der Debattenkultur Haltung zeigen, sondern generell für vulnerable Gruppen. Angesichts dessen ist die Gestaltung sozialer digitaler Räume als faire und diskriminierungsfreie Umgebungen ein zentrales gesellschaftliches Gebot und eine Kernaufgabe politischer Medienbildung. Dies gilt auch ein entsprechendes Technologiedesign, welches auf diese Weise zu einem ‘guten Leben für alle beiträgt.

Herausforderungen, Spannungsfelder und Handlungsempfehlungen

Umfassende gesellschaftliche Strukturen, Gestaltungshoheit und Machtgefälle zu thematisieren und ihre Veränderung als Ziel zu benennen, kann angesichts von Komplexität und Größe der Problemstellung Ohnmachtsgefühle hervorrufen, die in einem auf Engagement und Selbstwirksamkeit angelegten Bildungskontext nicht einfach zu überwinden sind. Wir empfehlen, der emotionalen Dimension generell genügend Platz einzuräumen und mit unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten wie Austausch, Gespräch, innerem Dialog und kreativen Methoden zu stützen. Neben

der Einbindung des gesamten Partizipationsspektrums und kleinen bis großen Handlungsoptionen – vom Familienchat, über Schulkultur bis hin zur Bundestagswahl – ist es auch die Arbeit mit transformatorischen Vorbildern (Sinnfluencer*innen, zivilgesellschaftlichen Akteuren), Erfolgsgeschichten GEGEN HASS IM NETZ, regulierungspolitischen Modellen oder die Auseinandersetzung mit (realen) Utopien, die in diesem Zusammenhang zielführend und empowernd Wirkung entfalten: Es kann gezeigt werden, mit welchen konkreten strukturellen Maßnahmen und Ideen wir als Gesellschaft eine respektvollere und friedlichere Debattenkultur schaffen können.

Leitfragen

  • Wie erweitere ich mein Bildungsangebot um eine transformative Dimension? Wo schaffe ich Anlässe und Anreize, neben individuellen Handlungsspielräumen nach Hebeln zu suchen, die auf struktureller Ebene zu Veränderungen führen können, um Hass im Netz weniger Raum zu geben?
  • Kann ich transformative Elemente in meinen Ansatz einbinden – etwa transformative Vorbilder, Austausch mit Akteur*innen der digitalen Zivilgesellschaft, Better Practices aus der Politik oder dem Rechtswesen?
  • Ist das Methodenset des Bildungsangebots mit einer starken Vision und der Möglichkeit eines besseren Ist-Zustandes verknüpft? Wird der Raum für gesellschaftliche Veränderung genügend groß aufgemacht, um über bloße Resilienz hinaus auch Engagementbereitschaft, Motivation und eine Haltung für Einmischung zu erzielen?
  • Gibt es Methoden, die auch im Nachgang Potenzial für Einübung und Stärkung haben, also von den Teilnehmenden für die Weiterentwicklung eigener Gedanken oder die Weitergabe in anderen Kontexten mitgenommen werden können?
  • Gibt es einen zeitlichen und methodischen Rahmen, um über Hintergründe, verknüpfte gesellschaftliche Phänomene, die Entstehungsbedingung und strukturelle Faktoren nachzudenken, die mit Hass im Netz verbunden sind und mit der Lerngruppe darüber in den Austausch zu kommen?

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