5. Nachnutzung

Tags: Auffindbarkeit, Nachnutzbarkeit, Modifizierbarkeit, Modularisierung, Praxisanker, OER, rechtliche Offenheit, technische Offenheit

Podcast mit Lara Niederberger – Projektkoordinatorin von AntiAnti (wirsindantianti.org)

„Demokratische Bildung braucht einen demokratischen Zugang!“

Lara Niederberger ist politische Medienbildnerin und Projektkoordinatorin im Projekt AntiAnti von mediale pfade, das zur Onlineradikalisierung arbeitet. Zur Frage der Nachnutzung von Methoden und Materialien für die pädagogische Arbeit redet sie mit Christine Kolbe über demokratische Zugänge und OER (Open Educational Resources).

 

Hier finden Sie das Transkript zum Audiobeitrag

Anschlussfähigkeit an aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, Debatten und Anpassungsmöglichkeiten vor allem bezogen auf die Aktualisierbarkeit von Projektkonzepten und Materialien im Themenspektrum GEGEN HASS IM NETZ sollte ein zentrales Kriterium sein, wenn wir nachhaltige Bildungsarbeit und passgenaue Zielgruppenansprache anstreben.

Begriffe, Formulierungen und allgemein der Umgang mit Metaphern und Beispielen können sich je nach politischer Lage und Diskurshoheiten verändern. Wie am Beispiel des im Herbst 2023 wieder stark in den öffentlichen Fokus gerückten Nahost-Konfliktes deutlich wird, muss politische Bildung zuweilen schnell reagieren, Begrifflichkeiten schärfen, Kontext liefern und vor allem Raum für die Auseinandersetzung mit Emotionen schaffen. Auch der globale Lernprozess zur Klimakrise und die hiermit zusammenhängenden Diskursverschiebungen etwa durch veränderte Protestkultur, sich verschiebende Mehrheiten sowie die Positionierungen politischer Parteien oder die Entstehung neuer Verschwörungserzählungen zeigen deutlich, wie wichtig die Nachbearbeitung für langlebige und nachhaltige Ansätze und Tools sind, die sich Hassphänomenen in digitalen Umgebungen entgegenstellen. Gelungene Ansätze, Materialkonzepte und Bildungsangebote GEGEN HASS IM NETZ zeichnen sich dadurch aus, für möglichst viele unterschiedliche Lernsettings anschlussfähig zu sein. Dies ist der Fall, wenn Methoden (→ 3. Starke Methoden) so konzipiert sind, dass Praxisbeispiele, Screenshots, aktuelle journalistische Debattenbeiträge etc. einfach ausgetauscht werden können oder sie generell dort ansetzen, wo sich die Zielgruppe mit dem Thema beschäftigt, z.B. bei Instagram-Profilen.

Herausforderungen, Spannungsfelder und Handlungsempfehlungen

Die Schnelllebigkeit tagesaktueller Debatten gepaart mit der Wucht gesellschaftlicher Ereignisse und die oftmals sprunghafte Verbreitung von Hass und Hetze in digitalen Räumen scheint Nachnutzbarkeit und Skalierbarkeit gelungener Bildungsformate GEGEN HASS IM NETZ generell in Frage zustellen. Diskussionen auf der Sachebene rund um politische Fragestellungen zu Auslösern von Hassphänomenen und vor allem sich entladende Emotionen fordern Bildungsarbeit mit dem Fokus auf den Schutz von Betroffenen, Verhaltensänderung, Sensibilisierung und Radikalisierungsprävention immer wieder heraus. In diesem Spannungsfeld können vor allem gut erprobte Ansätze unterstützen, welche ausreichend konzeptionelle Freiräume für Anpassungen von Bildungsangeboten bieten, besonders bezogen auf die Identifikation der Zielgruppe, auf Vorbilder, Praxisbeispiele und thematische Schwerpunktsetzung sowie Raum für Emotionen. Zudem hat für die gelingende Nachnutzung und Qualitätssicherung ein seinerseits didaktisch sorgfältig angelegtes und in seiner Ansprache adäquates Begleitmaterial für die durchführenden Fachkräfte einen hohen Stellenwert.

Open Educational Resources (OER), also Bildungsansätze und Materialien, die frei lizenziert sowie modulhaft aufgebaut sind und in ihrem technischen Informationsdesign auf Ergänzungen, Anpassungen oder “Remixe” hin angelegt sind – etwa weil sie nicht in einer PDF “gefangen” sind oder grafische Elemente abgeändert werden dürfen – schaffen hier einen grundsätzlich besseren Rahmen für gelungene pädagogische Arbeit, die zugleich nachhaltig verwertbar ist und Ressourcen einspart. (→ 5.2 Nachnutzung und OER)

Leitfragen

  • Bei starkem Aktualitätsbezug und komplexem Lernsetting einer Projektidee gilt es zu fragen: stehen Aufwand und Halbwertszeit in einem guten Verhältnis?
  • Wie können wir in Konzeption und Dokumentation der öffentlichen aber auch internen Aufbereitung von Ansätzen und Materialien möglichst offen für Anpassungen und Aktualisierungen bleiben?
  • Gibt es genügend Anschlüsse zu Szenarien in der Praxis, die mit Blick auf Formate (Links, Dokumente, Video-/Audio-Beiträge) unproblematisch ausgetauscht werden können? Kann das Material so aufbereitet werden, dass es von Anbeginn für unterschiedliche Bildungssettings, Lerngruppen oder auch Zielgruppen funktioniert?
  • Mit wieviel Aufwand ist die inhaltliche Anpassung von Sprache und Bildsprache, bzw. illustrierenden Beispielen möglich? Kann von Anfang an auf ein nachhaltiges Design von Bildungsangeboten geachtet werden?

Für die Anschlussfähigkeit bezogen auf Nachnutzung und Verbreitung gelungener Materialien und Projektideen spielen sowohl das (technische) Design der Bildungsangebote als auch urheberrechtliche Überlegungen eine entscheidende Rolle. Den stärksten Effekt haben Standards offener Bildung, so genannter OER (Open Educational Ressources) und freie Lizenzen – sie ermöglichen nicht nur die kostenlose Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke, sondern auch die Anpassung, Ergänzung und Weitergabe. Darüber hinaus ist es oftmals sogar auch geboten, öffentlich geförderte Projekte der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen – public money, public good

Für Langlebigkeit und Relevanz von Materialien und Ansätzen GEGEN HASS IM NETZ ist es wesentlich, sich bereits vor Beginn des Konzeptionsprozesses zu fragen, in welcher Form entstehende Materialien und Dokumentationen bereitgestellt werden sollen, wer Zugang bekommt, welche Urheberrechtsfragen im Vorhinein zu klären sind und wer für die langfristige Pflege, Aktualisierung, Neuauflage und das Hosting verantwortlich ist.

Nach OER-Standards entwickelte und veröffentlichte Materialien bieten genauso wie der strikte Copyright-Standard einen (urheber-)rechtssicheren Rahmen. Etwa über das gemeinnützig verwaltete Lizenzierungssystem Creative Commons können juristisch geprüfte Urheberrechtsverträge mit unterschiedlichen Bedingungen und Einschränkungen (Namensnennung, Weitergabe unter gleichen Bedingungen oder keine Bearbeitung) kostenfrei via Link hinterlegt werden. Damit dieses Angebot zum “Copyleft” auch in der Praxis greifen kann, setzen OER optimalerweise voraus, dass einzelne Elemente herausgelöst, kopiert oder einzeln abgespeichert werden können und dürfen. Auch Maschinenlesbarkeit (Plain-Text-Optionen) ohne Formatierung bieten in diesem Zusammenhang einen großen Mehrwert, da so zum Beispiel automatische Übersetzung und Textanpassungen für verbesserte Aktualität, Bezüge und neue Zielgruppen einfacher sind. Hierdurch können zudem technische Barrieren für diverse Zielgruppen abgebaut werden.

Angesichts großer Bedarfe und des generellen Wertes offener Bildung erachten wir die Öffnung und Veröffentlichung als OER als wesentliches Qualitätsmerkmal, gerade bei gesellschaftlich relevanten außerschulischen Vorhaben der politischen Medienbildung GEGEN HASS IM NETZ. Konzepte, Methodenideen, Ablaufpläne und Dokumentationen sollten so veröffentlicht werden, dass Fachkräfte sie eigenständig und ohne urheberrechtliche Risiken verwenden und für ihre eigenen Praxisanforderungen anpassen können. Aufgrund dessen ist übrigens von der Nutzung einer Kennzeichnung von Creative Commons-lizenziertem Material mit der Bedingungen “nicht-kommerziell” abzuraten, die bei selbstständigen Medienpädagog*innen für juristische Unklarheit sorgen kann.

Neben der Wahl freier Lizenzen und einer offenen technischen Umsetzung von Formaten ist vor allem ein ansprechendes Informationsdesign von großer Bedeutung. Es bietet gute Orientierung und lädt über gezielte Appelle zur Nachnutzung ein. Auch die Auffindbarkeit von OER, etwa in Sammlungen und Repositorien, die Durchsuchbarkeit und Filterbarkeit nach unterschiedlichen Indikatoren wie Thema, Zielgruppe, Dauer oder Methodik ist für Impact und Skalierbarkeit von Bildungsangeboten GEGEN HASS IM NETZ zentral.

Herausforderungen, Spannungsfelder und Handlungsempfehlungen

Gerade bei polarisierten politischen Debatten oder Verschwörungserzählungen wie sie Bildungsangeboten GEGEN HASS IM NETZ häufig zum Gegenstand haben, gibt es die Sorge vor missbräuchlicher Vereinnahmung und Verunglimpfung von Bildungsmaterialien durch Akteur*innen, die Verbreitung von Hass und Hetze im Netz strategisch betreiben. Abgesehen davon, dass auch bei geschlossenen Copyright-Lizenzen kein hundertprozentiger Schutz vor Urheberrechtsverletzungen, Verfälschung und Diskreditierung von Materialien für eigene Zwecke besteht, geht es letztlich um eine Abwägung, wenn Bildungsmaterialien möglichst frei zugänglich und als OER frei zur Verfügung gestellt werden sollen: Ist der pädagogisch-gesellschaftliche Nutzen oder die Gefahr von Missbrauch durch einzelne Personen oder Gruppierungen größer? Hilfreich bei dieser Abwägung ist sicherlich auch der Aspekt zivil- und strafrechtlicher Optionen für Schutz und Abwehr möglicher Angriffe auf politische Medienbildung und Bildungsakteur*innen insgesamt.

Leitfragen

  • Sollen Materialien, Dokumentationen und Leitfäden eines Bildungsangebotes als Open Educational Resource (OER) bereitgestellt werden? Unter welchen spezifischen Auflagen und Einschränkungen der freien Nachnutzung (Lizenz-Attribution) sollen die Materialien veröffentlicht werden?
  • (Wie) Kann eine mittel- bis langfristige Bereitstellung online ermöglicht werden? Sollten wir unsere Materialien in Meta-Repositorien eingepflegt werden? Können hierfür Verantwortlichkeiten vergeben und längere Laufzeiten als Budgetposten kalkuliert werden?
  • Was muss bei der Nachnutzung und Einbettung in neue oder andere Lernszenarien beachtet werden? Gibt es für die Weitergabe und Anwendung in eigenen Bildungskontexten Ansprechpersonen und/oder Hilfestellung, etwa durch die anbietende Institution?

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