Rückblick zum Fachtag in Potsdam – herausgeforderte Jugendarbeit in Zeiten von Hass im Netz und Desinformation

Mit einem Superwahljahr, in dem Regional-, Landtags- und Europawahlen in Brandenburg stattfinden und rechte Kräfte in der Region erstarken, findet sich das Bundesland in bewegten Zeiten und inmitten medialer Aufmerksamkeit wieder. Zuletzt konnte bei den Europawahlen die AfD als stärkste Kraft und mit deutlichem Zuwachs nach 2019 triumphieren (2024: 27,5%; 2019: 19,9%). Im Herbst folgen die Landtagswahlen und auch die Kommunalwahlen sind dann abgeschlossen. Parteien aus dem rechten Spektrum werden größere Zuwächse prognostiziert. Zwischen all diesen Wahlen betrachten wir das Internet, das sich längst zu einem zentralen Schauplatz politischer Debatten entwickelt hat und ein Ort ist, in dem sich insbesondere junge Menschen informieren und viel Zeit verbringen. Mit wachsender Präsenz im digitalen Raum mehren sich die Herausforderungen und potenziellen Gefahren. Wahlen werden flankiert von Desinformationskampagnen und Hass und Hetze im Netz.

Um diese Herausforderungen und Lösungsstrategien aus Sicht der Jugendarbeit zu diskutieren, lud die GMK im Rahmen ihrer Trägerschaft im Kompetenznetzwerk gegen Hass  im Netz, am 11. Juli 2024 in Potsdam zu einem Fachtag ein. Im Zentrum der Veranstaltung standen die Leitfragen: Was kann Medienpädagogik in der Jugendarbeit in Zeiten von Hass im Netz und Desinformation leisten? Was können wir in Nach- und Vorbereitung der zahlreichen Wahlen in diesem Jahr mit unseren Jugendlichen tun? Wie können wir sie, aber auch uns, für diese Herausforderungen ‚fit‘ machen?

Mit regionalen Fachkräften aus Erwachsenenbildung, Schulen, Medienkompetenzzentren, (offener) Jugendarbeit, Beratung aber auch Verwaltung nahmen wir uns diesen Fragen an und kamen über wissenschaftliche und praktische Inputs sowie Workshops in den Austausch dazu. Moderiert und bereichert wurde der Fachtag durch Anna Grebe und ihren langjährigen Erfahrungen in der Jugendbeteiligung und -politik.

Wie neueste repräsentative Zahlen zu Hass im Netz zeigen, sind Belästigung, Bedrohungen, Hass und Hetze im Netz längst im Alltag der Internetnutzer*innen angekommen. In den Fokus rücken dabei jungen Menschen (16 bis 24 Jahre). Sie nehmen besonders häufig Online-Hass wahr und es sind vor allem junge Frauen (30%), die zu den am stärksten von Hass im Netz Betroffenen zählen. Fast jede zweite junge Frau hat bereits ungefragt ein Nacktfoto geschickt bekommen. Darüber hinaus sind Menschen mit (sichtbarem) Migrationshintergrund sowie wie queere Menschen besonders häufig Ziel von Hass im Netz. Was für viele daraus folgt: Rückzug aus dem Sozialleben und aus den Online-Diskursen. Über die Hälfte der Befragten gibt an sich seltener im Netz an Diskussionen zu beteiligen oder Dinge aus Sorge vorsichtiger zu formulieren. Bei bereits Betroffenen sind die Zahlen nochmals höher. Das gefährdet unsere Meinungsvielfalt und damit auch unsere demokratischen Diskurse im Netz und darüber hinaus. Wichtige Stimmen unserer Gesellschaft verstummen und ihre Perspektiven gehen in unseren Debatten verloren, wenn wir dem nicht entgegenwirken. Die Zahlen der Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht“ wurden von Melina Honegg (GMK) vorgestellt. Die GMK ist eine von vier herausgebenden Organisationen der Studie, die im Rahmen des Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz durchgeführt und im Februar 2024 veröffentlicht wurde.

Was Jugendliche in Brandenburg (an der Havel) in diesem Jahr mit Blick auf die zahlreichen Wahlen in der Region politisch umtreibt, haben die Streetworkerinnen Katja Glomm und Denise Rexhausen aus der mobilen Jugendarbeit des Humanistischen Regionalverbands Brandenburg / Belzig e.V. in ihrem Vortrag eindrücklich berichtet. Sie haben in einer Postkartenaktion an Schulen über 350 Rückmeldungen von Jugendlichen eingeholt und daraus Fragen für die politischen Parteien abgeleitet sowie Wahlprüfsteine entwickelt, mit denen sie weiter in die Aufklärungsarbeit gehen und mit Veranstaltungsformaten vor Ort Raum für Austausch zwischen Jugendlichen und Politik schaffen. Neben aktuellen Dönerpreisen und der Verbesserung von Freizeitmöglichkeiten beschäftigt die jungen Menschen auch die Digitalisierung an Schulen sowie der Ausbau des ÖPNV. Dass sich aktuelle politische Debatten auch auf den Alltag und Sprachgebrauch der Jugendlichen auswirken und sie beschäftigen, zeigt sich über Parolen, die aus dem rechten Spektrum bekannt sind wie „Ausländer raus“ oder „AfD auf die 1“. Dabei zeigt die Arbeit der Streetworkerinnen, dass es sich durchaus lohnt darüber ins Gespräch zu kommen. Wird manches lediglich irgendwo ‚aufgeschnappt‘, können sich an anderer Stelle auch wichtige Sorgen, wie die eigene schulische Leistung, dahinter verbergen. Wichtige Erkenntnisse für die praktische Arbeit sind außerdem:

  • Jugendliche sind interessiert, wir müssen ihnen zuhören und ihnen in Gesprächen auf Augenhöhe begegnen.
  • Es lohnt sich die Sozialen Medien regelmäßig für die eigene Arbeit zu checken.
  • Medien müssen zum Thema gemacht werden und Medienkompetenzen an Schulen zu vermitteln ist zentral.
  • Schulen gezielt zu adressieren und in die praktische Arbeit einzuschließen ist wichtig, aber es ist nicht immer einfach an sie heranzukommen.
  • Die Arbeit mit den jungen Menschen ist zeitaufwendig und emotional, aber sie wirkt auch! Wir alle erweitern dadurch unsere Perspektiven. 

In zwei Workshoprunden haben uns Isgard Walla und Felix Kaschubeck weiter in die Theorie und Praxis eingeführt.

In einem sehr interaktiv angelegten Workshop hat Isgard Walla, die als Referentin für den Landesfachverband Medienbildung Brandenburg e.V. tätig ist und dort das Projekt jumblrJIM – Jugendmedienbildung im ländlichen Raum leitet, verschiedene Materialien zu den Themen „Desinformation“ und „Hass im Netz“ vorgestellt. Hierzu gehörten Quizze, Erklärvideos, Arbeitsblätter, Onlinetools, die in einem zweiten Schritt selbst erprobt werden konnten und mögliche Anwendungen für die eigene pädagogische Praxis in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen reflektiert und erörtert wurden.

Felix Kaschubeck, der selbst als Lehrer und Fachseminarleiter für politische Bildung an Schulen arbeitet, gab einen ausführlichen Einblick in das Netzwerk, die Aktivitäten und Strategien der Neuen Rechten in Brandenburg. Durch die Analyse von Musik, Magazinen und sozialen Medien erläuterte er die medienwirksame Kampagnenarbeit und die dahinterliegenden Motive der zentralen Schlüsselfiguren, präsentierte den Teilnehmenden deren Strategien und mögliche eigene Handlungsoptionen.

Der gesamte Fachtag war geprägt von regem Austausch und spannenden Diskussionen rund um die die verschiedenen Inputs und Impulse. Die neuen Herausforderungen erfordern Austausch, Umdenken und das Eröffnen neuer Perspektiven. Das hat uns auch diese Veranstaltung gezeigt. Im November werden wir das erneut aufgreifen und vertiefen, wenn wir einen weiteren Fachtag zum Thema in Dresden veranstalten, gemeinsam mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

 

Autorin: Melina Honegg