Hass im Netz – ein herausfordernder Phänomenkomplex

Hass im Netz ist ein Oberbegriff, der verschiedene Phänomene umfasst und eine Vielzahl unterschiedlicher u. a. abwertender, entwürdigender, auf Einschüchterung zielender oder verhetzender Inhalte und Handlungen bezeichnet, die sich in sozialen Medien und generell im Internet abspielen (vgl. Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz 2023). Von Hatespeech, einem Teilaspekt von Hass im Netz, spricht man dann, wenn sprachliche Handlungen auf Personen abzielen, die bestimmten Gruppen bzw. sozialen Kategorien zugeordnet werden können und vorurteilsgeleitet und abwertend sind (vgl. IDZ 2019). Eng verbunden ist damit auch das Phänomen der Desinformation, da diese absichtliche Verbreitung von Falschinformation dazu genutzt werden kann, Ressentiments und Vorurteile gegen marginalisierte oder andere Personengruppen zu verstärken (vgl. Fleischhack 2017). Davon abgrenzen lassen sich viele Formen des Cybermobbing; zumindest wird es thematisch häufig getrennt (Beitzinger et al. 2022). Auch wenn sie vorwiegend als individuelle Form der Herabsetzung behandelt wird, kann gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ebenso eine Rolle spielen (vgl. IDZ 2019; Beitzinger et al. 2022).

Die Ergebnisse der vorliegenden Bedarfserhebung hinterlassen den Eindruck, dass das Thema Cybermobbing – in Klassenchats auf WhatsApp, auf Social-Media- und Spieleplattformen – deutlich häufiger an die Fachkräfte herangetragen und auch in Workshops behandelt wird. Das muss klar im Zusammenhang damit gesehen werden, dass die Fachkräfte, deren Meinung hier eingeflossen ist, zum Großteil mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Zudem bleibt unklar, inwiefern insbesondere die Jugendlichen die Trennung der einzelnen Phänomene herstellen und wie sie von den Fachkräften in der pädagogischen Praxis definiert werden.

  Vieles, was genannt wird, ist […] eher beim Cybermobbing zu verorten als unter Hatespeech. Die Grenzen sind für die Kids nur schwer zu ziehen“ [1] (Fachkraft aus einem Medienkompetenzzentrum, Online-Befragung).

Viele Fachkräfte sehen sich angesichts der Komplexität von Hassphänomenen vor Herausforderungen in ihrer pädagogischen Praxis gestellt. Sie erleben die Entwicklungen innerhalb der verschiedenen Themenbereiche als schnelllebig und suchen nach Orientierung, wo sie Informationen erhalten und sich Wissen aneignen können. Dabei geht es sowohl um Wissen zu Hass im Netz als auch um Kenntnisse über jugendrelevante Plattformen wie TikTok und deren Nutzung durch Kinder und Jugendlichen.

Bisher gibt es viel zu wenige Angebote, um mit jungen Menschen, Fachkräften und Eltern zu diesem Thema zu arbeiten. Es wird nicht ernst genug genommen, so dass es in Lehrplänen nicht auftaucht und es kaum Fachkräfte gibt, die entsprechendes Fachwissen haben oder die Möglichkeit, sich hier fortzubilden“ (Fachkraft aus einer Jugendbildungsstätte, Online-Befragung).

Aus den Ergebnissen der Bedarfserhebung lässt sich erkennen, dass Hass im Netz in ganz unterschiedlichen Kontexten zum Thema wird, auch in Workshops zu übergreifenden Themen wie Werten im Netz und Internetsicherheit. Generell schildern die Fachkräfte aber den Eindruck, dass sie den Kindern und Jugendlichen die Ernsthaftigkeit der generellen Problematik von Hass im Netz erst näherbringen müssen.

Bevor ich zum Thema Hass im Netz kommen kann, muss ich häufig erstmal die Grundlagen klären. Viel zu häufig sind meine Zielgruppen […] nicht sensibilisiert dafür, dass bestimmte Posts / Memes überhaupt […] „Hass“ bzw. beleidigend für bestimmte Menschen sind“ (Fachkraft aus verschiedenen Praxisbereichen, Online-Befragung).

Darüber hinaus ist es den befragten Fachkräften ein Anliegen, mit ihren Adressat*innen zu erarbeiten, „wer Hass im Netz [verbreitet] und warum“, dann „Handlungsstrategien zu erarbeiten“, wie sie mit entsprechenden Posts umgehen können, und die „Argumentation und Kommunikation in Kommentarspalten“ zu üben (Antworten aus der Online-Befragung). Deutlich wird in diesem Kontext aber auch, dass sie für diese Arbeit Unterstützung bräuchten, um „Perspektiven verfügbar [zu haben], die nicht einfach da sind“, wie es eine Fachkraft in einer Fachveranstaltung äußerte (Dokumentation der Fachveranstaltungen).

In Bezug auf die Fortbildungsbedarfe überrascht dann, dass Hintergrundwissen zu Strukturen, Täter*innen, Betroffenen und Aggressionsformen von Hass im Netz und zum Umgang von Kindern und Jugendlichen mit sozialen Medien weniger wichtig für die Fachkräfte ist als andere Aspekte. Dazu passt aber der Wunsch, auf externe Expert*innen der politischen Bildung und Medienpädagogik zugreifen zu können.

Neben der Herausforderung, mit den Kindern und Jugendlichen fachlich fundiert und lebensweltorientiert zum Phänomenkomplex zu arbeiten, schildern die Fachkräfte eine weitere Perspektive, die das Thema mit sich bringt: Die Fachkräfte sehen die Notwendigkeit, für die Kinder – ggf. stärker als bei anderen Themen – eine Ansprechperson zu sein und empfinden es darüber hinaus als Herausforderung, mit Betroffenheitserfahrungen umzugehen. Das dafür vorausgesetzte Vertrauensverhältnis mit ihren Zielgruppen, das vorhanden sein müsste, damit diese mit ihren Problemen an sie herantreten, wird insbesondere in den pädagogischen Settings nicht erreicht, wo es sich um ein zeitlich begrenztes Angebot (z.B. einen Workshop in der Schule) handelt. In Kombination mit der Unsicherheit in Bezug auf die Plattformen, auf denen die Kinder und Jugendlichen unterwegs sind, die Fachkräfte aber oftmals nicht, kann es eine Herausforderung sein, Hass im Netz zu erkennen, Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung von Vorfällen zu unterstützen oder ihnen zu zeigen, wie sie Fälle melden, Beweise sichern und selbst aktiv werden können. An dieser Stelle werden auch fachliche und methodische Bildungsbedarfe sichtbar.

Deutlich wird, dass Fachkräfte, die zum Thema Hass im Netz arbeiten, eine Vielzahl an Kompetenzen brauchen, die sich in Fortbildungs- und Unterstützungsangeboten sowie Materialzusammenstellungen widerspiegeln sollten. Gleicher Handlungsbedarf ergibt sich aus thematischen Kontexten. Insbesondere der enge Zusammenhang zwischen Hassrede und Falschinformationen, die häufig im Zusammenhang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stehen, ist vielen Fachkräften nicht bewusst und sollte stärker in die pädagogische Arbeit einfließen.

An dieser Stelle kann auf den Kompass für gelingende politische Medienbildung hingewiesen werden – eine Orientierungshilfe für pädagogische Fachkräfte, die von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK) und medialepfade.org – Verein für Medienbildung e.V. herausgegeben wurde. Das Papier bietet Orientierungshilfen zum Gegenstand, zu Haltungs- und Methodenfragen, zur Zielgruppenorientierung und zu weiteren Aspekten politischer Medienbildung gegen Hass im Netz (Kolbe et. al 2023).

Literaturverzeichnis

Beitzinger, F., Leest, U., & Süss, D. (2022). Cyberlife IV. Spannungsfeld zwischen Faszination und Gefahr. Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern. Vierte empirische Bestandsaufnahme bei Eltern, Lehrkräften und Schüler/-innen in Deutschland (Folgestudie von 2013, 2017 und 2020). Bündnis gegen Cybermobbing e.V./Techniker Krankenkasse. https://www.tk.de/resource/blob/2135626/77b4f663709dbbff4cd6503609047767/tk-studie-cybermobbing-iv-data.pdf [zuletzt geprüft am: 20.12.23].

Fleischhack, J. (2017): Der „Hass“ der vielen Formen. In: Kaspar, K.; Gräßer, L.; Riffi, A. (Hrsg.): Online Hate Speech. Perspektiven auf eine neue Form des Hasses. Schriftenreihe zur digitalen Gesellschaft NRW, Band 4: Düsseldorf, München. Online verfügbar unter: https://www.grimme-institut.de/fileadmin/Grimme_Nutzer_Dateien/Akademie/Dokumente/SR-DG-NRW_04-Online-Hate-Speech.pdf [zuletzt geprüft am: 20.12.23].

Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) (2019): #Hass im Netz. Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie. Eine bundesweite repräsentative Untersuchung zum Thema Hate Speech. Online verfügbar unter: https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Bericht_Hass_im_Netz.pdf [zuletzt geprüft am: 20.12.23].

Kolbe, C.; Dander, V.; Hünemörder, K.; Wolf, H.; Strnad, T.; Ünsal, S.; Rössler, C. (2023): Gegen Hass im Netz – Kompass für gelingende politische Medienbildung. Eine Orientierungshilfe für pädagogische Fachkräfte – herausgegeben von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK) und medialepfade.org – Verein für Medienbildung e.V. Online verfügbar unter: https://hass-im-netz.gmk-net.de/wp-content/uploads/2023/12/KRITERIEN_TEXT-Gegen_Hass_im_Netz_FINAL_2023-12-20_V2.pdf [zuletzt geprüft am: 20.12.23].

Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz (2024): Über Hass im Netz. Online verfügbar unter: https://kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de/themen/ [zuletzt geprüft am: 20.12.23].

 

Autor*innen: Carolin Rössler, Lena Schmidt

[1] Rechtschreib- und Grammatikfehler wurden in den Zitaten für die bessere Lesbarkeit angepasst. Es wurde darauf geachtet, die inhaltliche Aussage damit nicht zu verändern.