Die vorliegende Untersuchung zu Unterstützungsbedarfen pädagogischer Fachkräfte zur Umsetzung medienpädagogischer Bildungsangebote gegen Hass im Netz wurde von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK) in Kooperation mit dem JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis durchgeführt. Sie wurde realisiert als Projekt der GMK innerhalb des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz, in dem sie seit 2023 einer von fünf Trägern ist. Die Hauptzielgruppe der Bedarfserhebung waren pädagogische Fachkräfte aus dem außerschulischen Kontext.
Forschungssetting
Es wurden drei Fachveranstaltungen der GMK mit insgesamt 60 Fachkräften begleitet, ihre Bedarfe dokumentiert und ausgewertet. Die Bedarfserhebung im Rahmen der Veranstaltungen wurde in deren Konzeption mitgedacht. Mittels partizipativer Methoden wurde die Perspektive der Teilnehmenden eingeholt. Ziel war es, die Äußerungen der Teilnehmenden möglichst konkret und in ihrem inhaltlichen Kontext erfassen zu können und ein differenzierteres Bild der Einstellungen der Fachkräfte, der Organisationsstrukturen, in die sie eingebunden sind, und ihrer Unterstützungsbedarfe zu bekommen. Die Veranstaltungen fanden in Berlin, Köln und München im Zeitraum zwischen Juli und Oktober 2023 statt.
Mittels einer Online-Befragung wurden weitere Informationen von pädagogischen Fachkräften eingeholt. Mit 62 gültigen Fragebögen konnte die empirische Basis der Bedarfserhebung vergrößert werden, dennoch ist das Sample begrenzt und nicht repräsentativ. Die Befragung hatte einen Umfang von 10 Fragen, davon waren drei Fragen offen gestellt, was den Fachkräften die Möglichkeit gab, in ihren eigenen Worten zu antworten. Neben Fragen zum Arbeitsbereich der Fachkräfte und zum Alter der Zielgruppen, mit denen sie jeweils arbeiten, ging es darum, mit welchen Formen von Hass im Netz die Befragten zu tun haben, welchen Stellenwert das Thema in ihrer Arbeit hat und wo sie ihre größten Herausforderungen sehen. Die Online-Befragung war von Mitte August bis Ende September 2023 online. Sie wurde in einschlägigen Newslettern verbreitet und im Rahmen von Veranstaltungen und der Öffentlichkeitsarbeit der GMK (Webseite, Social Media) bekannt gemacht. Um insbesondere auch Fachkräfte mit nicht-medienpädagogischem Profil zu erreichen, wurden deutschlandweit auch Institutionen der Sozialarbeit, Kinder- und Jugendhilfe sowie Verbandsportale für pädagogische Fachkräfte kontaktiert. Der Großteil der Befragten gab an, dass es zu den Aufgaben ihres Arbeitsbereiches gehört, mit Kindern und Jugendlichen Hass im Netz zu thematisieren (insbesondere mit der Altersgruppe 10-15 Jahre). Im Weiteren stehen diese Ergebnisse im Fokus der Auswertung.
Im Mittelpunkt der Bedarfserhebung stand die Frage: Welche inhaltlichen, fachlichen und strukturellen Unterstützungsbedarfe bestehen für die Fachkräfte in ihrer Arbeit gegen Hass im Netz? Im Detail ging es darum, zu ergründen,
- auf welche Weise, in welchen Kontexten und in Verbindung mit welchen anderen Phänomenen oder Themen ihnen Hass im Netz begegnet.
- welche inhaltlichen, fachlichen und strukturellen Ressourcen und Unterstützungsbedarfe zur Umsetzung von Bildungsangeboten gegen Hass im Netz bestehen.
- wie Angebote, Methoden und Materialien gestaltet sein und zur Verfügung gestellt werden müssen, damit sie von Fachkräften gefunden und adäquat eingesetzt werden können.
- wo Fachkräfte Lücken und Schwächen in bestehenden Angeboten sehen.
Herausforderungen und Bedarfe der Fachkräfte auf inhaltlicher & fachlicher Ebene
Auf der inhaltlichen Ebene sehen die Fachkräfte vor allem die Herausforderung, Umfang und Bandbreite des Themas zu überblicken und sich selbst aufgrund der sich immer wieder verändernden Ausprägungen von Hassrede in digitalen Medien und allgemeinen Trends in der digitalen Kommunikation auf dem Laufenden zu halten. Es herrschen teilweise Unwissenheit zur Rechtslage und Unkenntnis bezüglich der Funktionsweise und technischen Möglichkeiten der Netzwerke vor, was die Unsicherheit mit dem Phänomenkomplex fördert.
Auch mit der Frage der eigenen Haltung und Positionierung gegenüber ihren Zielgruppen entstehen Herausforderungen für die befragten Fachkräfte: Sie empfinden es als nicht einfach, eigene Positionen oder (politische) Haltungen innerhalb eines praktischen Angebotes zu vertreten, und erleben Unsicherheiten, mit Betroffenheit bei ihren Zielgruppen umzugehen, aber auch im Umgang mit sexistischen oder anderen diskriminierenden Äußerungen durch ihre Zielgruppen. Hier erleben einige Fachkräfte ein „Wir gegen Die“, also ein Abbild gesellschaftlicher Gruppenbildung in ihrer eigenen pädagogischen Arbeit.
Methodische Schwierigkeiten aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte
Auch auf methodischer Ebene hinsichtlich der eigenen praktischen Arbeit äußerten die Fachkräfte Herausforderungen, die sich zu folgenden Themenbereichen zusammenfassen lassen:
Für viele Fachkräfte öffnet sich ein Spannungsfeld zwischen der Veranschaulichung (z.B. durch das Zeigen praktischer Beispiele in einem Workshop) und der Gefahr der Reproduktion von Hass, dem Triggern oder Verängstigen ihrer Zielgruppe.
In Bezug auf das Vertrauensverhältnis zu Kindern und Jugendlichen äußern einige Fachkräfte die Schwierigkeit, eine Gesprächsebene zu finden und Betroffenheit, wenn sie erfahren wird, richtig zu adressieren. Die notwendige Beziehungsarbeit ist insbesondere aufgrund zeitlich begrenzter Angebote oder struktureller Bedingungen herausfordernd. In diesem Kontext stellen sich viele Fachkräfte die Frage, wie sie mit Gleichgültigkeit und Ablehnung ihrer Adressat*innen umgehen können. Diese erfahren sie teilweise, wenn es darum geht, welche Inhalte Kinder und Jugendliche selbst posten oder kommentieren. Den Fachkräften ist es ein Anliegen Empathie zu fördern und die Teilnehmenden auf einer affektiven Ebene zu erreichen, um Verständnis und Verhaltensänderungen zu fördern. Damit eng verbunden ist der Wunsch Kinder und Jugendliche zum Handeln zu bewegen, zu empowern und dabei zu unterstützen sich die eigene Rolle in sozialen Netzwerken bewusst zu machen.
Wünsche der Fachkräfte in Bezug auf Methoden und Materialien
Was wünschen sich die Fachkräfte also in Bezug auf Methoden und Materialien in ihrer Arbeit? Ein besonderer Bedarf der Fachkräfte ging in Richtung von Methoden, in denen Medien wie Filme und Videomaterial sowie Apps, Spiele oder Online-Tools zur Anwendung kommen. Zur Verfügung gestellte Methoden sollen sowohl in kurze Einheiten sowie in ganze Projekttage eingebunden werden können.
Generell wurde der Bedarf nach einer stärkeren Beachtung von altersspezifischen und diversitätssensiblen Aspekten geäußert. Eine Lücke sehen sie derzeit bei Methoden für jüngere Kinder (Grundschulalter), unter denen Hass im Netz immer häufiger ein Thema ist. Stärker vorangetrieben werden sollte die Erstellung von Material in leicht verständlicher Sprache sowie in unterschiedlichen Sprachen.
Was die Bereitstellung von Materialien angeht, so zeigt sich der Bedarf nach einer Übersicht oder Sammlung von vorhandenen Materialien im Feld für einen besseren Überblick. Viele Fachkräfte empfinden eine pädagogische Einschätzung und Bewertung als sehr relevant bei der Auswahl von Arbeitsmaterial. Zudem äußerten die Fachkräfte den Wunsch, dass Materialien ohne umfangreiche Vorbereitungen unmittelbar einsetzbar sein sollten, was auch die Beachtung datenschutzrechtlicher Aspekte einschließt.
Herausforderungen und Bedarfe der Fachkräfte auf struktureller Ebene
Gerade wenn es um Angebote geht, die im Schulkontext umgesetzt werden, stehen oft nur geringe zeitliche Ressourcen zu Verfügung und es fehlt an technischem Equipment für medienpädagogische Projekte. Fachkräfte, die schwerpunktmäßig im nicht-schulischen Kontext arbeiten, schilderten, dass der Zugang zu unterschiedlichen Zielgruppen herausfordernd ist. Wechselnde Teilnehmende in der offenen Jugendarbeit erschweren die Bindung auf der Beziehungsebene und damit auch, mit Kindern und Jugendlichen in den regelmäßigen Austausch zu kommen.
Konkrete Fort- und Weiterbildungsbedarfe liegen insbesondere bei Methoden und Konzepten für die Workshopdurchführung und der Gesprächsführung bei sensiblen Themen.
Nicht zuletzt wünschen sich die Fachkräfte eine bessere Übersicht über bereits bestehende Projekte, Materialien und Ansätze sowie eine stärkere Vernetzung mit Expert*innen und Referent*innen aus unterschiedlichen Bildungsbereichen (politische Bildung, Medienpädagogik). Dies könnte einerseits zur eigenen Entlastung (insbesondere in Schulen), aber auch zur Steigerung der Qualität der Workshops dienen. In diesen Kontext wurde auch über die Notwendigkeit diskutiert, die Verschränkung formaler mit non-formalen Bildungssettings weiter voranzubringen.
Fazit und Ausblick
Aus den Ergebnissen, die sich aus den Bedarfen und Erfordernissen für die Fachkräfte ergeben, lässt sich Folgendes zusammenfassen:
- Wissen: Vorwissen und Interesse sind bei den Fachkräften vorhanden, aber es bestehen Wissensbedarf und Unsicherheiten in der Methodik.
- Schulung und Unterstützung: Fachkräfte sollten darin bestärkt werden, sich mit Methoden und Themen auseinandersetzen, eine eigene Haltung zu entwickeln und sich weiterzubilden, um kompetente Ansprechpartner*innen für ihre Zielgruppen zu sein. Auch die Resilienz von Fachkräften sollte gestärkt werden.
- Pädagogische Ausrichtung: Konzepte und Methoden sollten zur Verfügung gestellt werden, um die Empathiefähigkeit der Kinder und Jugendlichen zu fördern. Methoden sollten empowern, nicht verängstigen.
- Differenzierte Angebote: Unterschiedliche Levels hinsichtlich des Vorwissens bei Fachkräften sollten in Fortbildungsangeboten und innerhalb von Materialien berücksichtigt werden.
- Strukturelle Ressourcen: Neben einer Verbesserung der personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen wünschen sich die Fachkräfte eine bessere Übersicht über bereits existierende Projekte und Materialien. Die Vernetzung der Akteur*innen muss gefördert und ausgebaut werden. Insbesondere ist beim Thema Hass im Netz eine Zusammenarbeit mit politischer und medienpädagogischer Bildung hilfreich.
Die vorliegende Bedarfserhebung unter Fachkräften zeigt deutlich, wie heterogen die Arbeitssituationen und Kontexte in der pädagogischen Arbeit zum Thema Hass im Netz sind. Entsprechend divers sind die Herausforderungen und daraus resultierenden Bedarfe. Es ist sinnvoll, hierauf aufzubauen und repräsentative Studien zu fördern, um hinsichtlich konkreter Tätigkeitsfelder stärker differenzieren zu können. Qualitative Studien können helfen pädagogische Konzepte zu optimieren und die konkrete Arbeit mit pädagogischen Materialien zu fundieren.
Autorinnen: Carolin Rössler, Lena Schmidt