Um Kindern und Jugendlichen das Phänomen Hass im Netz zu veranschaulichen und Formen von Hass im Netz zu erklären, nutzen viele Fachkräfte Beispiele für ihre medienpädagogische Projektarbeit. Sie können als Gesprächsstarter dienen, Erfahrungen aufgreifen oder Teilbereiche von Hass im Netz fassbar und erklärbar machen.
Bei der Verwendung von Beispielen in ihrer praktischen Arbeit befinden sich viele Fachkräfte in einem Spannungsfeld: Sie möchten Beispiele zeigen, um Sachverhalte und Darstellungsformen zu veranschaulichen oder zu erklären. Auf der anderen Seite können Hassinhalte, Diskriminierungen, Stereotype o.ä. durch deren Zeigen reproduziert werden, sich so verfestigen oder als Bestätigung wahrgenommen werden.
Darüber hinaus äußern viele Fachkräfte, dass sie mit herausfordernden Gruppendynamiken oder Eskalationen zu tun haben, wenn sie Beispiele für Hass im Netz präsentieren und besprechen möchten; insbesondere, wenn durch die Beispiele Themen aufgegriffen werden, die innerhalb der Gruppe emotionalisiert diskutiert werden (wie z.B. Queerfeindlichkeit).
Ausgewählte Beispiele von Hassrede können u.U. zu Unwohlsein und Gereiztheit führen. Die zu bearbeitenden Beispiele können weiterhin auch unterschiedliche Meinungen und Auffassungen zu bestimmten Themen triggern und im Rahmen eines zeitlich knappen Workshops ausarten. Man sollte moderativ in der Lage sein, so etwas zu regulieren und zu steuern und empathisch zu schauen, ob die Beispiele bei jemanden etwas auslösen“ (Fachkraft aus verschiedenen Praxisbereichen, Online-Befragung).
In den Schilderungen einiger Fachkräfte zeigt sich jedoch, dass sie sich nicht in der Lage fühlen, diesen eskalierenden Situationen zu begegnen oder sie im Vorfeld zu verhindern. Die moderative Leistung, derartige Situationen zu beobachten und zu steuern, stellt sich für sie als Herausforderung dar:
In der Arbeit mit ganzen Schulklassen sehe ich meine größte Herausforderung darin, keine Gruppendynamiken zwischen Täter(n) und Opfer entstehen zu lassen bzw. eine Eskalation zu vermeiden” (Fachkraft aus der Schulsozialarbeit, Online-Befragung).
Innerhalb der Fachveranstaltungen diskutierten die Fachkräfte außerdem, wie mit der Auswahl bestimmter Beispiele, z.B. für Hatespeech umgegangen werden kann: Zum einen muss die Fachkraft in der Lage sein zu argumentieren, warum bestimmte Beispiele ausgewählt und andere ausgelassen werden. Zum anderen läuft man Gefahr, ungewollt bestimmte Gruppierungen (z.B. Modelabels, rechtsextreme Bands) bekannter zu machen. Es ergeben sich konkrete Fragen der inneren Haltung der Fachkraft darüber, welche Positionierungen sie einnimmt und wie sie diese mit Fachwissen untermauern kann. Hier äußerten einige Fachkräfte, dass sie sich nicht sicher fühlen, eine solche Haltung einzunehmen und zu vertreten. Dass sie sich darüber viele Gedanken machen und es eine zentrale Frage der medienpädagogischen Arbeit ist, wurde im Rahmen der begleiteten Fachveranstaltungen deutlich. Die Fachkräfte suchten untereinander Rat und betrieben Erfahrungsaustausch zu ihrem Vorgehen im Umgang mit der Veranschaulichung von Hass im Netz und zur Verwendung von Beispielen.
Trotzdem erscheint es für viele Fachkräfte essenziell, nicht auf Beispiele zu verzichten, um Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, Diskurse besser zu verstehen und den Umgang oder mögliche Reaktionen (Kommentare, Memes, etc.) auf Hassbeiträge oder -posts zu üben.
Nicht nur im Zeigen von Beispielen, sondern generell in der Aufbereitung von Wissen oder der Veranschaulichung des Sachverhaltes sehen die befragten Fachkräfte das Potenzial für das Entstehen von eskalierenden Gruppendynamiken und es fällt ihnen schwer, sie zu vermeiden oder ihnen angemessen zu begegnen. Gerade wenn es um die Darstellung strafrechtlicher Konsequenzen für Online-Handeln geht, entsteht hier der Bedarf nach Methoden oder Materialien, mit denen man „die strafrechtlichen Konsequenzen anschaulich darstellen [kann] ohne Angst zu machen“ bzw. nach einer „Aufbereitung von Wissen, so dass es empowernd ist, präventiv nutzt und nicht totale Panik schürt“ (Antworten aus der Online-Befragung). Das scheint vor allem vor dem Hintergrund relevant, dass einige Fachkräfte den Bedarf äußern, vermehrt mit jüngeren Zielgruppen (ab Klassenstufe 2) zum Thema Hass im Netz zu arbeiten. Hier werden Methoden und Materialien zum Einstieg benötigt, die Sachverhalte zielgruppenadäquat veranschaulichen können.
Um Fachkräfte in Zukunft zu unterstützen, muss dieses Spannungsfeld produktiv bearbeitet werden: Es werden Fortbildungsangebote benötigt, die methodische Ansätze und Hinweise für eine zielgruppengerechte Arbeit zu den verschiedenen Dimensionen von Hass im Netz liefern. Für ihre pädagogische Praxis benötigen die Fachkräfte Ideen und Ansatzpunkte, wie der Einsatz von Beispielen gelingen kann – sowohl methodisch als auch argumentativ. Denkbar sind hier didaktisch aufbereitete Handreichungen für Beispiele bzw. kommentiertes Material mit Handlungsanweisungen für die Moderation im Workshop-Kontext. Wenn zusätzlich der fachliche Austausch zur eigenen Haltung und Handlungspraxis durch Vernetzungsangebote vorangetrieben wird, könnte das vielen Fachkräften zusätzliche Sicherheit und Resilienz für kommende Angebote bieten.
Autorinnen: Carolin Rössler, Lena Schmidt